des Magiers Träume

14. Februar 2015

Zu gerne würde Larya jetzt den verdutzten Blick ihres Bruders sehen. Aber um ihre Entschlossenheit zu festigen, durfte sie nicht zurückschauen, sondern einfach weiterlaufen. Ihre Beine fühlten sich an, als würden sie jeden Augenblick zerbrechen. Die Blasen an ihren Füßen zwangen sie manchmal, zu humpeln.
Doch Larya wollte ihre Schmerzen vor Darios verbergen. Sie kannte ihn zu gut. Er würde seine Schwester gegen ihren Willen auf die Schulter nehmen und sie wusste, dass er auch kaum noch laufen konnte.
Es ist alles eine Frage des Willens, Larya. Einfach einen Fuß vor den anderen setzen und nicht über die Schmerzen nachdenken. Alles nur eine Frage des Willens. Einfach nicht ans Laufen denken.
Der Versuch, sich selbst zu motivieren, half nur bedingt. Nun dachte sie noch mehr ans Laufen.

Je weiter sie in den Schattenpass kamen, desto dunkler wurde es.
Man konnte nun kaum noch die Hand vor Augen sehen.
Beide stolperten in regelmäßigen Abständen über größere Steine.
Larya bekam immer mehr Angst. Sie hatte das ständige Gefühl, dass in der Dunkelheit etwas lauerte. Etwas, dass die beiden die ganze Zeit beobachtete, doch es war totenstill. Einzig die Schritte der Geschwister hallten leise durch den Pass. Kurz dachte Larya an die alten Geschichten über Geister. Körperlose Hüllen, die in der Dunkelheit umherschweiften und Menschen beobachteten. Es war zwar nur eine Geschichte, doch trotzdem hatte sie durch diese Gedanken nur noch mehr Angst bekommen. Ihre Angst ließ sogar die Erschöpfung ein wenig abklingen. Sie wollte einfach nur raus hier, konnte den Tagesanbruch kaum erwarten.
Am liebsten würde sie jetzt die Hand ihres Bruders nehmen, aber die die daraus entstandene Sicherheit wäre nur eine Illusion gewesen.

Larya konnte die Hänge an beiden Seiten zwar nicht sehen, doch sie fühlte, dass der Pass enger wurde. Eine Kutsche würde gerade noch so durchpassen.
Nun war es stockdunkel. Sie mussten sich an der Wand abtasten, um vorwärts zu kommen.
Es kam ihr so vor, als ob sie sich im Schneckentempo bewegen würden. Während sie die Wände abtastete, spürte Larya plötzlich ein Kitzeln an ihrer linken Hand, dass langsam den Arm hinauf kroch.
Sie stieß einen leisen Schrei aus, während sie verzweifelt mit der rechten bandagierten Hand über ihren Arm wischte. Dass diese verletzt war, hatte sie vergessen. Ein stechender Schmerz überkam sie.
„Was ist?“ sagte Darios sorgenvoll.
Erst als seine Schwester sich sicher war, den ungebetenen Gast losgeworden zu sein, antwortete sie.
„Nur ein Käfer.“
„Ein Käfer?“ scherzte Darios. „Du schreist herum, wegen einem Käfer? Wir werden von blutrünstigen Kriegern und einem Kampfmagier verfolgt, und du hast Angst vor einem Käfer? Oh Schwester, du enttäuschst mich.“
„Der war groß. Außerdem finde ich die Dinger eklig.“
„Diese Dinger könnten uns vielleicht das Leben retten. Unsere Nahrung hält nicht ewig.“
„Du meinst… also du meinst… wir müssen bald Käfer essen?“
„Na wenn du keine Steine essen willst.“
„Doch doch, Steine wären mir lieber.“

Nach einer Weile bemerkte Larya, dass die Angst wieder hoch kam.
Während ihres kurzen Gespräches war sie wie weggeblasen, doch mit der Stille kam auch die Angst wieder. Die Angst vor der Dunkelheit. Mit jedem Schritt dachte sie, dass irgendwas aus der Dunkelheit hervorspringen würde. Um ihr nicht völlig zu verfallen, entschied sie sich, wieder mit ihrem Bruder zu reden.
„Ich vermisse Dalynos.“
„Ich auch. War ein schönes Dörfchen. Aber noch mehr vermisse ich unsere Mutter.“
„Ich nicht.“ Sagte Larya wahrheitsgemäß und entschlossen.
Wenn es nicht so dunkel gewesen wäre, würde sie nun sehen, wie ihr Bruder ein entsetztes Gesicht aufzog.
„Warum nicht?“
„Ich weiß, dass sie nun an einem besseren Ort ist, wo es die Probleme dieser Welt nicht mehr gibt. Dort ist sie glücklicher, als hier.“
Darauf hatte Darios nichts mehr zu sagen. Ihm gefiel der Gedanke, dass es für jeden Menschen einen Platz in einer besseren Welt gab.
Dass diese schlimme Welt nur eine Prüfung sei, nur der Weg dorthin.
Doch das war nur Wunschdenken. Er glaubte nicht an ein Leben nach dem Tod.
Nicht die Welt war schuld an Leid und Krieg, sondern die Menschen darin.
Und wenn diese Menschen nach ihrem Tod in diese bessere Welt kämen, was würde sich ändern? Nichts. Sie würden diese wieder nach ihren eigenen Vorstellungen formen und abermals Krieg und Leid entfachen.

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